Die Stilsichere

In meinen Adern fließt das Blut des Salento. Nicht etwa das Blut Apuliens, sondern das salentinische Blut meiner Heimat. Für einen Außenstehenden mag das dasselbe sein, für uns Süditaliener nicht. Ich habe die Sommer meiner Kindheit und Teenagerzeit zwischen Lecce, Gallipoli und Otranto verbracht. „Lu sole, lu mare, lu ientu“ – Heimat klingt für mich nach Sonne, Meer, Wind, aber auch nach mit Creme gefüllten Pasticciotti und Pizzica. Der Konkurrenzkampf so mancher italienischen Städte untereinander ist legendär: Bergamo und Brescia, Pisa und Livorno – da dürfen Lecce und Bari natürlich nicht fehlen.

Als Erwachsene wurde ich zur Weltenbummlerin und habe meine Wäsche im Arno, Amazonas, Nil und in der Donau gewaschen. Trotzdem kam ich mit einem Koffer voller Vorurteile nach Bari – ein Vermächtnis meiner salentinischen Großmutter, die nur zu gerne und lautstark auf die Leute in Bari schimpfte. Ich wünschte, sie würde noch leben, damit ich ihr sagen könnte, wie sehr sie sich geirrt hat.

Ich bin erst seit fünf Minuten in Bari und schon erfasst mich ein unbeschreibliches Gefühl des Wohlbefindens. Der Himmel über Süditalien strahlt in wahrem Festtagsblau. Das Weiß der Altstadt von Bari reflektiert das Licht, wie es sonst nur Schnee vermag, und die herrlich salzige Meeresluft füllt meine Lungen.

Ich wohne im Viertel San Nicola in der Altstadt Baris: eine gute Wahl. Il Pescatore ist nicht nur ein Fischrestaurant, das man besucht haben sollte, es hat auch seit Kurzem ein kleines Bed & Breakfast mit direktem Blick auf das Castello Normanno Svevo. Die Betten sind himmlisch weich und das Frühstück gleicht einem königlichen Festbankett. Ein kräftiges Frühstück ist jetzt genau das Richtige, denn heute will ich die Stadt erkunden, und im alten Stadtkern kommt man nur zu Fuß vorwärts. Ein Spaziergang dorthin durch das Wirrwarr aus Straßen und Gassen zwischen der Promenade und dem Murat-Viertel ist an sich schon ein Erlebnis.

Speakeasy Bar, Bari
Die Barmänner des Speakeasy
La Corderia 1995. Bari
Stoffauswahl, La Corderia 1995

Hier scheint das vornehme Bari der edlen Geschäfte weit entfernt. Man kann einen Blick in die Küchen werfen und den Frauen dabei zusehen, wie sie gerade frische Orecchiette zubereiten. Oder sie dabei beobachten, wie sie mit Lumpe und Bleiche das weiße Pflaster des Gehsteigs säubern. Die Hausfrauen Baris breiten hier die frisch duftende Wäsche an den Balkonen aus, als ob das Viertel ein einziges großes Haus wäre. Von Hausmütterchen in Kitteln fehlt hier aber jede Spur.

Die Frauen sind immer top gestylt. Bereits in den frühen Morgenstunden sieht man sie in engen Jeans und High Heels. Ihr Make-up ist stets makellos. Mit einer unglaublichen Professionalität macht sich eine nach der anderen auf dem Balkon die Haare zurecht. Sie vergessen dabei natürlich nicht, von Zeit zu Zeit den vorbeiflitzenden Männern auf ihren Mofas zuzuzwinkern. Und wie sollte es anders sein: Natürlich ist keines dieser Höllengefährte ordnungsgemäß versichert.

Die Altstadt Baris eignet sich natürlich auch für einen kleinen gastronomischen Exkurs. Ich streife zwischen Häusern und Innenhöfen umher, und der baresische Lokalmatador trällert für mich den passenden Soundtrack – natürlich viel zu laut. Plötzlich stehe ich vor den Worten Assaporando le Delizie Pugliesi, was in etwa bedeutet „Genieße die Kostbarkeiten Apuliens“. Diese Worte sind einfach mit Farbe direkt auf den weißen Putz geschrieben. Ich werde neugierig und trete in das entsprechende kleine Lädchen ein. Herrliches grünes Olivenöl aus der Region, getrocknete Tomaten, Peperoncini, hausgemachte eingelegte Spezialitäten und natürlich die unvermeidlichen frischen Orecchiette. Und dann erspähe ich Friselle – das traditionelle Fischerbrot aus Hartweizengrieß. In Apulien ist es als Antipasti-Grundlage nicht wegzudenken.

Normalerweise zieht mich diese Art von Geschäften nicht so stark an, aber jetzt ertappe ich mich dabei, wie ich den Laden mit einer Tüte leckerer Souvenirs verlasse.

In der Trattoria Tana del Polpo, in einer kleinen Gasse an der Grenze zwischen der Altstadt Baris und dem Corso Vittorio Emanuele II, nur wenige Schritte von der Chiesa di San Michele entfernt, verkaufen sie herrliche Cartocci, Panini und Fritture di polpo zum Mitnehmen. Ich bestelle ein Panino mit Rotem Tunfisch und den berühmten Pistazien aus Bronte und mache mich auf den Weg zum Corso Vittorio Emanuele II.

Dort zeigt sich die Stadt von einer ganz anderen Seite. Plötzlich könnte man meinen, man sei in Miami. Reihen hoher Palmen säumen die Straßen, die Strandpromenade prunkt mit gepflegten Blumenbeeten, und die Männer tragen stolz ihre Panamahüte. Fast fühlt man sich wie an einem Drehort für den nächsten Hollywood-Blockbuster.

Im Umbertino-Viertel, dem Dreieck zwischen dem Corso Cavour, der Via Imbriani und der Strandpromenade bis zum halbkreisförmigen Aussichtspunkt vor der Piazza Armando, findet ab Sonnenuntergang das hippe Nachtleben Baris statt. Unter den schönen Jugendstilpalästen reihen sich edle Weinbars und Bistros aneinander, in denen sich die Szene trifft, alle stilvoll eingerichtet und gut besucht. Im Falle des Speakeasy (Largo Giordano Bruno) ist es für mich Liebe auf den ersten Blick.

La Corderia 1995. Bari
La Corderia 1995

Wie der Name schon sagt, umgibt das Lokal die Aura der Prohibition, mit seiner langen Bar aus schwerem Holz und herrlichem Retro-Schick in jeder Ecke. Ich bin von den Cocktailnamen hin und weg: It’s Pear Thyme Punch, Vieux Carré, The Day After Tomorrow, aber am Ende entscheide ich mich für ein Glas Wein, natürlich aus der Region. Ein herrlicher samtig-roter Primitivo di Manduria.

Ein wenig später in Faros Beer Cafè treffe ich auf ein jüngeres Publikum, das fröhlich an bunten Cocktails nippt und über eine Party am nächsten Wochenende in Monopoli philosophiert. Das KGB Katzuti Garage Bari in der Via Salvatore Cognetti ist ein perfekter Mix aus Motorradfahrer-Treff und angesagtem New Yorker Hipster-Club.

Wenn man sich die Nobelviertel Baris ansieht, könnte man meinen, dass die Reichen und Schönen in den achtziger Jahren stehengeblieben seien, als noch die Fahrer in den dunklen Limousinen vor den Friseursalons auf die juwelenbehangenen und pelzgeschmückten Frauen warteten.

Gianfranco in der via Giuseppe Bozzi ist heute der Lieblingsfriseur der baresischen Damen, die allesamt seinen Salon und seine fähigen Hände mit kunstvoll ondulierten Haaren à la Drei Engel für Charlie und rigoros aufgehellten Spitzen verlassen. Im Umbertino-Viertel ist Gianfrancos Balayage mit Abstand der neue Haartrend. Dabei hat er neben dem Friseurhandwerk einen weiteren Weg der Kundenbindung gefunden. In seinem Geschäft GF Luxury Vintage – übrigens nur wenige Schritte vom Salon entfernt – kann man echte Vintage-Markenschätze shoppen. In Gianfrancos Sortiment befinden sich kaum getragene Chanel-Taschen ebenso wie fast neue Hermes-Tücher.

Die Modeszene in Bari hat zwei große Fixpunkte: Mimma Ninni und Dante 5. Beide Geschäfte sind absolut luxuriös und besonders bei anspruchsvollen Trendsettern begehrt. Ich entscheide mich für das Mimma Ninni, da sie mehr für Streetware steht, eine außergewöhnliche Kleiderauswahl hat und immer auf der Jagd nach aufstrebenden Marken ist.

Das nächste Ziel meiner Shoppingtour ist das Einrichtungsgeschäft Corderia, das mit Sicherheit nicht nur Bari einrichtet, sondern auch die prachtvollen Villen in Monopoli, Ostuni, Conversano und Locorotondo, den Ferien- und Wochenendadressen der zeitgemäßen Baresi. Corderia ist wie ein großes Wohnzimmer mit samtenen Sofas und großen Kissen, Skulpturen aus Gips, alten orientalischen Lampen und viel wunderschönem Ethno-Nippes.

La via delle signore delle orecchiette. Bari
Handgemachte Pasta: Baris Via delle Orecchiette

Für die Antiquitätensammler hingegen ist das Dordoni genau der richtige Ort. Die Einheimischen sagen, es sei eines der schönsten Geschäfte für Wandteppiche und Teppiche aller Art in ganz Italien. Tatsächlich, obwohl ich nun wahrlich kein Experte bin, scheint Dordoni selbst schon fast ein Museum zu sein.

Ich laufe weiter Richtung Süden und in nur 30 Minuten habe ich eines der neuen Vergnügungsviertel erreicht. Seit einigen Jahren zählt das Viertel Torre Quetta im Süden Baris dazu. Es ist der ersehnte Fluchtpunkt vieler Baresi an heißen Sommertagen und ähnelt Barceloneta, dem trendigen Strandviertel Barcelonas.

Torre Quetta. Bari
Strandabschnitt, Torre Quetta

Pärchen, Familien und Freunde treffen sich hier in einer der vielen Bars im coolen Europaletten-Design auf ein kaltes Bier.

KGB. Bari
Das KGB
La Tana del Polpo. Bari
Restaurant La Tana del Polpo, Bari

Torre Quetta ist ideal, wenn einem nach Erfrischung im Meer zumute ist.
Pärchen, Familien und Freunde treffen sich hier in einer der vielen Bars im coolen Europaletten-Design auf ein kaltes Bier. Oder auf eine Partie Beachvolleyball oder sie nutzen eine andere der zahlreichen Sportmöglichkeiten am Strand.

Das Meer bei Bari ist blau, kristallklar und sehr salzig. Absolut anders, als es mir meine eifersüchtige und überpatriotische Großmutter erzählte, die stets meinte: „Es muss einen Grund geben, warum immer alle zu uns ins Salento kommen!” Sicherlich will ich die Schönheit ihrer Heimat mit ihren markanten Klippen nicht leugnen, aber ich habe im Meer vor Bari gebadet und musste feststellen, dass sie es einfach nie selbst ausprobiert hat.

di Veronica Gabbuti

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