Der Intellektuelle

„Schönes und süßes Bologna! Sieben Jahre meines Lebens habe ich dort verbracht, vielleicht die schönsten.“ Mit diesen Worten drückt Pier Paolo Pasolini seine ganze Liebe zu seiner Heimatstadt aus – einer Stadt der Kunst, der Kultur und Gegenkultur, einer Stadt des Genusses und natürlich von unbestreitbarer gastronomischer Bedeutung, auch wenn nur ein weniger aufmerksamer Betrachter sie in die Schublade der bloßen Heimat von Tortellini und Tagliatelle stecken würde.

Diese Verbundenheit wird den größten italienischen Intellektuellen der Nachkriegszeit dazu führen, einige Szenen seines letzten und umstrittenen Meisterwerks „Die 120 Tage von Sodom“ in den Bologneser Hügeln zu drehen, in jener Villa Aldini, die über der Stadt thront und die schon Napoleon als „superbe!“ bezeichnete. Das Innere der Villa ist nicht zu besichtigen, aber es lohnt sich dennoch, ihre neoklassische Eleganz aus der Ferne zu bewundern.

Cineteca Lumière
Cineteca Lumière
Museo Internazionale e Biblioteca della Musica Bologna
Museo Internazionale e Biblioteca della Musica
il Disco D'Oro Bologna
Il Disco d’Oro

Das Kino spielt eine große Rolle im Alltagsleben der Hauptstadt der Emilia Romagna, sind wir doch in der Stadt, die 1970 das DAMS ins Leben rief, den Diplomstudiengang für die Fächer Kunst, Musik und Theater, der in ganz Europa Schule machte. Ich lenke meine Schritte zur Cineteca di Bologna, die dank der Bologna Film Commission die Schätze der Vergangenheit bewahrt, um sie wieder nutzbar zu machen und eine zukünftige Aufführung zu ermöglichen. Das in Italien einzigartige Forschungszentrum unterteilt sich in eine Ausstellungsfläche und einen Filmraum.

Die Einrichtung bietet eine Zeitreise in die Vergangenheit, bei der man die wichtigsten Orte italienischer Geschichte bewundern kann, ohne sich allzu weit von der Via Zanardi zu entfernen. Aber die Cineteca ist nicht das einzige Beispiel für die Einzigartigkeit der Stadt im Bereich des Films. Die siebte Kunst führt mich auch ins Pratello, das historische Stadtviertel und volkstümliche Herz Bolognas, das sich von einer Straße des Elends und des Hungers zum neuen kulturellen Pol der Stadt gewandelt hat und das mehr eine Gemeinschaft als ein Stadtviertel ist.

Hier wurde das Kinodromo ins Leben gerufen, ein zentraler Zusammenschluss der audiovisuellen Kreativwirtschaft als Alternative zum Filmvertrieb für die Massen. Es liegt gegenüber dem Park an der Via San Rocco und fügt sich perfekt in diesen Prozess sozialer Aufwertung ein.

Museo Internazionale e Biblioteca della Musica

Bologna ist eine Stadt der Kultur, haben wir gesagt, aber vor allem ist es eine Stadt der Gegenkultur. Und es ist genau dieser antikonformistische frische Wind, der mich in die Gegend der angrenzenden Piazza San Francesco treibt. Das Bologna von 1977 wird bestimmt von künstlerischen und politischen Experimenten wie den Theaterwerkstätten des berühmten Dramaturgen Giuliano Scabia, dem dadaistischen Fanzine a/Traverso von Bifo, aber vor allem vom Sender Radio Alice, dem bedeutendsten freien Radiosender Italiens.

In die Fußstapfen der britischen Piratensender der 1960er-Jahre tretend, sprengte das Radio mit Sitz in der Via del Pratello 41 am 9. Februar 1976 das Frequenzmonopol und vermittelte dem Publikum eine neue Art des Kommunikationsverständnisses. Das kurze, aber intensive Leben von Radio Alice währte allerdings nur 13 Monate. Geblieben ist von diesem einladenden Ort, wo jeder hingehen und seine Musik übertragen, an einer Diskussion teilnehmen oder einfach eine Nacht im Schlafsack auf dem Fußboden verbringen konnte, ein geschlossenes Rollgitter, das Ziel Tausender Prozessionen ist und die Erinnerung und Leidenschaft eines unvergessenen Experiments wach hält.

Unvergesslich ist auch die Traum Fabrik in der Via Clavature 20. Nicht weit vom Alice entfernt wurden noch vor 1977 Wohnungen besetzt und später in Ausbildungswerkstätten umgewandelt, wo in einem Strudel an Kreativität ohnegleichen Comics und Musik verschmolzen und Bands wie Gaznevada und Skiantos sowie die unnachahmlichen Werke von Andrea Pazienza ins Leben gerufen wurden. Auch sie sind leider für die Öffentlichkeit geschlossen, aber ein rascher Blick auf ein Bologna längst vergangener Tage ist einfach ein wunderbarer Liebesbeweis. Dieser turbulenten und kreativen Zeit haben die Regisseure Guido Chiesa und Renato De Maria zwei allegorische Filme gewidmet. „Lavorare con Lentezza“ ersinnt zwischen Drama und Komödie eine ebenso imaginäre wie glaubhafte Story, die von jenen von Radio Alice geprägten Zeiten erzählt.

De Maria bietet uns unterdessen mit „Paz!“ einen Ausschnitt aus dem Bologna des Jahres ’77, der voll und ganz die gequälte Persönlichkeit des apulischen Comiczeichners Andrea Pazienza in den Mittelpunkt stellt und anhand seiner bekanntesten Figuren über sie erzählt.

Mambo e Museo Morandi Bologna
MAMbo und Morandi Museum
MAMbo und Morandi Museum

Musik und Kunst verbinden sich erneut im Disco d’Oro, einem historischen Plattenladen im Herzen Bolognas, wo ich nach einem intensiven Spaziergang durch die Straßen des Zentrums Unterschlupf suche. Entstanden im lang zurückliegenden Jahr 1976 und das revolutionäre Potenzial des Punk vorausahnend, hat es das Geschäft im Laufe der Jahre verstanden, musikalischen Trends zuvorzukommen, und bewahrt noch heute eine ganz eigene und unverfälschte Identität, die schon bei einem kurzen Blick in seinen Katalog hervorsticht. Vom klassischen Rock bis zu mehr oder weniger bahnbrechenden modernen Musikrichtungen ist alles dabei. „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ liest man in Riesenlettern im Innern. Wie ich werden auch Sie diesen Worten Nietzsches zustimmen.

Verlassen Sie Bologna nicht, bevor Sie nicht das Covo besucht haben, den Club, der in den Achtzigerjahren als Wiege der italienischen Punkkultur entstand und bis heute einer der renommiertesten Orte Italiens für Konzerte und Partys mit mehr oder weniger Clubfeeling ist. Ich hatte Glück, zufällig zum einzigen Tourtermin der Arab Strap in Italien dort zu sein, einer schottischen Band zwischen Slowcore und Alternative Rock. Aber das Programm des Bühnenclubs ist so umfangreich, dass es verschiedenste Geschmäcker befriedigt. Bologna ist jedoch nicht nur Wave, Indie, Shoegazing oder Post-Punk.

Das beweist zum Beispiel eindrucksvoll das Museo Internazionale e Biblioteca della Musica, das 2004 in einem Patrizierhaus von seltener Schönheit eröffnet wurde und Säle umfasst, die allen Klassikern vom 15. bis zum 17. Jahrhundert gewidmet sind – von Vivaldi bis Bach, von Farinelli bis Gioacchino Rossini. Auch die städtische Prominenz Bolognas ist eng mit dem Thema Musik verbunden: Mozart als Student der Accademia Filarmonica, der Franziskanerpater Giovanni Battista Martini mit seiner gewaltigen Sammlung an Partituren, Sampieri, Respighi und natürlich Rossini sind einige Beispiele dafür.

Diese Tradition wird auch durch den Titel einer „Kreativstadt der Musik“ bescheinigt, den die UNESCO 2006 an Bologna verliehen hat.

Cineteca Lumière
Cineteca Lumière
Caffè Marinetti, Grand Hotel Majestic Bologna
Cafè Marinetti, Grand Hotel Majestic

Nicht nur musikalische, sondern zeitgenössische Kunst, moderne Kunst, Guerillakunst – das und vieles mehr finden Sie im MAMbo, dem verlockenden Akronym, hinter dem sich das Museo d’Arte Moderna in der Via Don Minzoni verbirgt, das 2007 aus der alten GAM (Galleria d’Arte Moderna Bologna) hervorging. Forschung und Innovation verleihen hier einem Ausstellungsort Leben, der pulsierenden experimentellen Praktiken eine Heimstatt bietet, wie Dokumenten der Kunst und Ideologie der „anni di piombo“ – der Zeit des Linksterrorismus in Italien – sowie den aufwühlenden Performances von Marina Abramović, Hermann Nitsch und Gina Pane. Nach diesem prickelnden Besuch erfrische ich mich im Café Marinetti.

Hier versammelte sich eine Gruppe intellektueller Liebhaber von Geschwindigkeit und Fortschritt unter der Ägide ihres Anführers Filippo Tommaso Marinetti. Strategisch günstig an der verkehrsreichen Via Indipendenza im luxuriösen Hotel Majestic gelegen, organisierte die Gruppe in dessen Zimmern die Ausstellung „Mitica Mostra Futurista“ für nur eine Nacht und veröffentlichte das Manifest, das Ausgangspunkt des italienischen Futurismus wurde.

Dieses Experiment ist ein Paradebeispiel dafür, wie Kunst, Geschichte und Literatur sich zwischen den beiden berühmten Türmen der Stadt Platz verschafften. In der Hauptstadt der Emilia wird Zeitgenössisches, Zukunftsweisendes und ein durch die Jahrhunderte geprägtes ästhetisches Erbe bewahrt – eine Kombination, die man schwerlich in anderen Städten Italiens findet und die Bologna zu einem Ort macht, den man nicht nur besuchen, sondern allumfassend erleben sollte.

di Valerio Stefanori

Museo Internazionale e Biblioteca della Musica

Weitere Routen

  • Der Insider

  • Die Stilsichere

  • Der Sportliche

  • Die Entdeckerin