Der Intellektuelle

München gehört zu den Städten, die den Geist der deutschen Romantik und des Neoklassizismus am besten verkörpern. Eine moderne Stadt, gastfreundlich und traditionsreich, majestätisch, stattlich und gleichzeitig lebendig in ihrem mitteleuropäischen Pragmatismus.

Wenn man in München durch die Straßen läuft, verfließen die Grenzen zwischen Moderne und Klassizismus. Dieses Gefühl hat man sofort, wenn man in die Sendlinger Straße einbiegt, wo sich zwischen modernen Gebäuden und Cafés ein kleines Juwel des Spätbarock verbirgt: die St.-Johann-Nepomuk-Kirche, besser bekannt als Asamkirche, nach ihren Erbauern, den Brüdern Asam. Die schmale Fassade bereitet den Besucher nicht auf das vor, was ihn an Großartigkeit in ihrem Inneren erwartet: ein wahrer Triumph des Rokoko, der jeden Zentimeter Wand erobert hat. Noch ausgeprägter erscheint die Vermischung der Epochen einige Hundert Meter weiter im MUCA, dem Museum of Urban and Contemporary Art, das sich als eines der ersten in Europa ausschließlich der Street-Art widmet. Das Gebäude erinnert nicht umsonst an eine verlassene Fabrik und ist – wie der nebenstehende Bau – von außen von einem Calligraffiti-Werk bedeckt (einer Kunstform, die Graffiti und Kalligrafie vereint). Zusammen bilden sie ein morphologisches Kontinuum von immenser optischer Wirkung. Im Innern findet man Werke der gegenwärtig bedeutendsten Künstler der Urban Art in einem offenem Raum, der zwar nicht durch Größe besticht, aber eine inspirierende Strahlkraft besitzt.

Technische Universität München - TUM
Brandhorst Museum
Neue Pinakothek

In Münchens Straßen jagen Kunst und Kultur einander in einem kreativen Wirbel. Kunst gefällt, spricht die Sinne an, löst Reaktionen und Emotionen aus. Aber sie interagiert auch mit dem alltäglichen Leben der Einwohner und greift in dieses ein. Schwabing ist dabei das Stadtviertel, das den Dialog auf die Spitze treibt. Es hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts um die Ludwigstraße und die Leopoldstraße herum entwickelt und wurde bald zum kulturellen und künstlerischen Zentrum Münchens. Hier entstand 1890 der deutsche Jugendstil, der mit seiner eleganten Architektur die Häuser ziert. Bleiben Sie stehen und bewundern Sie das brillanteste Beispiel dieser Strömung: das Gebäude in der Leopoldstraße 77. Aber Schwabing ist nicht nur Jugendstil.

Die Gegend wird von einer großen intellektuellen und politischen Vitalität charakterisiert. 1911 entstand hier die expressionistisch geprägte Künstlervereinigung Der Blaue Reiter. Der russische Maler Wassily Kandinsky führte die Gruppe an, der unter anderem Paul Klee, Franz Marc und August Macke angehörten. Diese avantgardistischen Künstler, die den Beginn der abstrakten Malerei einleiteten, wollten die innere Wahrheit der Dinge ausdrücken, indem sie die Wirklichkeit studierten und dann mit großer konzeptioneller Kraft verarbeiteten.

Lenbachhaus

Folgen wir den Spuren des Blauen Reiters und gehen zum Kunstareal in der Maxvorstadt, einem Viertel, das als bedeutendstes kulturelles und intellektuelles Zentrum Bayerns gilt. Hier befindet sich ein Großteil der Museen und historischen Bürgerhäuser der Stadt. Unter diesen sticht die Städtische Galerie im Lenbachhaus hervor, die Werke aus drei Jahrhunderten vereint, von zeitgenössischer Kunst bis zur weltgrößten Sammlung des Blauen Reiters. Die Schönheit des Kunstareals liegt auch in dem, was die Kunst umgibt: Museumsbauten stehen in einem Flechtwerk majestätischer Architektur nebeneinander, darunter das Brandhorst Museum und die Neue Pinakothek.

Aber hier gibt es nicht nur Museen und Galerien. Wenn wir an der rund vier Meter hohen Aluminiumskulptur des niederländischen Künstlers Henk Visch vorbeispazieren, treffen wir auf die Hochschule für Film und Fernsehen. Gegründet 1966, ist sie die erste ihrer Art in ganz Deutschland. Denkt man an deutsches Kino, kommt einem zuerst Berlin mit der Berlinale in den Sinn. Zu oft vergisst man aber die Bedeutung dieser angesehenen Hochschule, die jedes Jahr im November ein unabhängiges Filmfestival organisiert und zu deren Absolventen ein Kinogigant wie Wim Wenders zählt. Man erzählt sich, dass Werner Herzog, als er zu einem der Studiengänge der Hochschule nicht zugelassen wurde, eine Videokamera der Universität stahl und mit dieser seine fantastische Karriere als Regisseur begann.

Kunst ist dann revolutionär, wenn sie auch ein Mittel ist, das auf das alltägliche Leben der Menschen Einfluss hat, also nicht nur ein ästhetisches Objekt ist, sondern auch ein Gegenstand, der die Existenz begleitet. Dies ist die Bedeutung des NS-Dokumentationszentrums, das genau dort errichtet wurde, wo einst das Braune Haus stand. In dieser imposanten Villa hatte sich ab 1930 der Sitz der NSDAP befunden, die 1919 in München gegründet worden war. Das Zentrum erstreckt sich über vier Stockwerke und ist ein richtiges Museum mit Fotos, Videos und Propagandadokumenten, die den Aufstieg und Fall der von Adolf Hitler gegründeten Partei veranschaulichen. Es handelt sich um ein schwieriges Projekt in einer Stadt, die noch immer von ihrer Geschichte gequält wird und hart dafür kämpfen musste, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten.

Brandhorst Museum
Lenbachhaus

Verlassen wir das Museumsviertel und wenden uns nach Norden in Richtung Olympiaberg, wo man einen schönen Spaziergang im Grünen des Olympiaparks mit einem spektakulären Blick auf die Stadt verbinden kann. Den Hintergrund bilden die Gipfel der Alpen, die an klaren Tagen besonders leuchten und unglaublich nah erscheinen.

In dieser grünen Lunge befindet sich die Ost-West-Friedenskirche, eine kleine orthodoxe Kapelle, die nach dem Zweiten Weltkrieg vom russischen Einsiedlermönch Timofei Wassiljewitsch Prochorow, der für alle nur Väterchen Timofei hieß, erbaut wurde. Ein kleiner Hinweis: Das Kirchlein versteckt sich so gut zwischen Hügeln und Bächen, das es den meisten Passanten gar nicht auffällt. Aber wenn man vor dem kleinen Eingangstor steht, wird die mühsame Suche belohnt. Die Kapelle und das kleine Wohnhaus werden Sie an einige Märchen der Gebrüder Grimm erinnern. Für das Kirchgebäude wurden Trümmer der vom Zweiten Weltkrieg noch halb zerstörten Stadt verwendet, es besitzt wie eine richtige orthodoxe Kirche eine mit Silberpapier verkleidete Decke, die das Himmelsgewölbe darstellt. Hier herrscht eine Aura von Magie und Mystik, die man kaum mit Worten beschreiben kann. Väterchen Timofei lebte dort bis 2002, bis er die Kirche aus gesundheitlichen Gründen verlassen musste. Trotz der offensichtlichen Verstöße gegen die Bauordnung wird das Gebäude von den städtischen Behörden bis heute toleriert und als „charmantester Schwarzbau Münchens“ angesehen.

Neue Pinakothek
Friedenskirche

Mit ihrer Architektur, den Parks, Museen und Kirchen ist die bayerische Hauptstadt für jeden eine lohnende Erfahrung. Sie vermittelt Modernität und Tradition, stilistische Strenge und naive Unschuld zugleich, und all dies mit der lebensfrohen Leichtigkeit, die weltweit bekannt ist und München den Beinamen „Weltstadt mit Herz“ beschert hat. Dieser Titel huldigt dem sprichwörtlichen bürgerlichen Liberalismus, der der starken katholischen Prägung des Bundeslandes Bayern gegenübersteht. Eine so entspannte soziale Atmosphäre schlägt sich auch in der Kultur nieder und macht einen Aufenthalt in München zum wahren Vergnügen.

di Valerio Stefanori

Olympiapark

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